Der heilige Erasmus war zur Zeit des römischen Kaisers Diokletian
Bischof in Antiochien und starb der Legende nach im Jahre 303 in Formio.
Der Körper des Märtyrers wurde bis zu seiner Überführung
durch Kurfürst Albrecht von Brandenburg in sein neugegründetes
Hallenser Stift im Jahre 1516 in Magdeburg aufbewahrt und es ist durchaus
möglich, daß Cranachs Holzschnitt aus Anlaß der Versöhnung
zwischen Friedrich dem Weisen und dem Erzbischof Ernst von Magdeburg (1464-1513)
entstand. Die beiden Brüder hatten sich wegen von Ernst geführter
heimlicher Verhandlungen mit dem Dresdner Herzog Georg von der rivalisierenden
Albertinischen Linie des sächsischen Hauses entzweit.
Die grausame Szenerie läßt sich an Deutlichkeit kaum überbieten. Nichts ist hier mehr von der vor allem in der älteren Kunst oft anzutreffenden regungslos verklärten Darstellung der Heiligen zu spüren, Schmerz und Leiden spiegeln sich im Gesicht des Heiligen wieder.
Bei der im Hintergrund dargestellten Burg handelt es sich um eine exakte Ansicht
der Veste Coburg, die der aus Kronach stammende Künstler gut kannte und wo er sich 1506
für längere Zeit aufhielt, um im Auftrag des Kurfürsten
diverse Wandmalereien auszuführen. Die Fundamente des heute nicht
mehr vorhandenen mächtigen stauferzeitlichen Rundturms aus Buckelquadern
wurden erst 1973 bei Sicherungsarbeiten wiederentdeckt und konnten so die
topographische Genauigkeit von Cranachs Ansicht der Veste bestätigen,
die auch auf dem rechten Flügel des im gleichen Jahr entstandenen
Dresdener Katharinenaltars wiederkehrt.
Der Künstler zog den in der Werkstatt vorhandenen Druckstock nach Änderung
der Tinktur des Kurwappens heran, um die leeren Seite der letzten Lage
des geplanten Buchs mit Darstellungen der Apostelmartyrien zu füllen,
was sich aufgrund der ähnlich drastisch dargestellten Thematik durchaus
anbot. Angesichts der hervorragenden Druckqualität dieses Blattes kann
man davon ausgehen, daß vom ersten Zustand des Holzschnitts mit der
ursprünglichen Wappenform des Jahres 1506 nur ganz wenige Abzüge
angefertigt wurden.
Armin Kunz