Martyrien der heiligen zwölf Apostel. [Um 1512]

Erasmus
Barbara
Petrus
Paulus
Johannes
Jakobus der Ä
Andreas
Thomas
Bartholomäus
Philippus
Jakobus der J.
Simon
Judas Thadd.
Matthias
Detail

Cranachs Wirken als Buchkünstler verbindet man gemeinhin mit zwei klar getrennten Phasen seines Schaffens. Da ist zum einen die Zeit seines ersten Auftretens in Wien zwischen 1502 und 1504. Die andere Periode setzt erst wieder um 1517/18 ein. In ihr profilierte sich Cranach als Bibelillustrator ebenso wie als Entwerfer von Titelrahmen für unzählige, oft aus dem tagespolitischen Geschehen heraus entstandene und dieses begleitende reformatorische Streitschriften, als Zeichner neutraler und mehrfach verwendbarer Dekorationen ebenso wie als einer der wichtigsten Impulsgeber antipäpstlicher Bildpropaganda. Während der dazwischenliegenden eineinhalb Jahrzehnte, in denen Cranachs Graphik in den Jahren 1505 bis 1512 zweifellos ihren künstlerischen Höhepunkt erreichte, stand dagegen die Produktion von Einblattholzschnitten im Vordergrund. Lediglich zwei Bücher mit von ihm geschaffenen Holzschnitten aus der Zeit um 1510 werden normalerweise in der Literatur angeführt: das 1509 in zwei Ausgaben erschienene Wittenberger Heiltumsbuch sowie das Ser andechtig Cristenlich Buchlein aus hailigen schrifften vnd Lerern des Wittenberger Musikprofessors Adam von Fulda aus dem Jahre 1512 , beide gedruckt in der Werkstatt des Symphorian Reinhart.

Ähnlich Albrecht Dürers Holzschnittfolgen der Apokalypse, des Marienlebens sowie der Großen und Kleinen Passion könnte man aber auch von Cranachs umfangreichen Serien der Passion von 1509 und der um 1512 entstandenen Apostelmartyrien vermuten, daß sie vom Künstler nicht nur als Einblattdrucke, sondern auch im Buchzusammenhang angeboten und vertrieben wurden. Bei den 1998 in den Besitz der Lutherhalle gelangten Abdrucken der Martyrien, die hier auf den folgenden Seiten komplett abgebildet sind, handelt es sich nun in der Tat um Druckfahnen für ein solches Buchprojekt. In der gleichen Type wie das Heiltumsbuch und die kleine Schrift des Adam von Fulda gedruckt, dürften auch sie von Symphorian Reinhart gesetzt worden sein. Bis heute konnte jedoch kein als Buch wirklich fertiggestelltes Exemplar der Martyrienfolge nachgewiesen werden. Alles was bekannt ist, sind insgesamt drei Sätze von Druckfahnen, wovon sich ein mit den Wittenberger Drucken identischer leider unzugänglich in Privatbesitz befindet, während der andere im Schloßmuseum Gotha aufbewahrt wird. Bei letzterem sind die Texte in der gleichen Type neu gesetzt. Die Abdrucke der Holzschnitte reichen nicht ganz an die Qualität der Wittenberger Blätter heran, was auf einen etwas späteren Entstehungszeitpunkt schließen läßt. Zwischen dem Druck der Wittenberger und der Gothaer Blätter hat man sich wahrscheinlich eine Auflage der Martyrien als Einblattholzschnitte zu denken, wie man sie in den Sammlungen einiger Kupferstichkabinetten antreffen kann. Detail

Aufgrund ihrer großen Seltenheit haben diese mit Text versehenen Frühdrucke bislang Beachtung gefunden und man ging stets davon aus, daß der Wiederabdruck von Cranachs Apostelholzschnitten in dem 1539 von Georg Rhau herausgegebenen Symbolum oder gemeine Bekentnis der zwelff Aposteln ihre erste Verwendung als Buchillustrationen bildet, ab 1547 dann gefolgt von den Neuauflagen des Symbolums als Anhang der diversen Auflagen des Rhauschen Hortulus animae. Während dort jeder Holzschnitt von den einzelnen Artikeln des protestantischen Glaubensbekenntnisses begleitet wird, handelt es sich bei den Texten der vorliegenden frühen Abdrucke noch um altgläubige Fürbittengebete, was neben den genannten technischen Gesichtspunkten wie Druckqualität und Stockerhaltung letztlich auch aus inhaltlichen Gründen auf einen Druck der Blätter unmittelbar zum Zeitpunkt der stilistisch erschlossenen Entstehung der Holzschnitte etwa um das Jahr 1512 verweist.

Bei allen drei Frühdrucken fehlen Titel wie Impressum und sind die Rückseiten der Marter des hl. Petrus und der Enthauptung der hl. Barbara unbedruckt gelassen. Offenbar ergänzte Cranach die Folge mit zwei in der Werkstatt verfügbaren Holzschnitten, um die letzten Seiten der Lage zu füllen. Die bereits 1506 entstandene Marter des hl. Erasmus gelangt dabei im zweiten, nach 1508 anzusetzenden Zustand mit dem veränderten Kurwappen auf die Rückseite des letzten Blattes der Apostelfolge (der Marter des hl. Mathias), so daß ihre Zugehörigkeit zur geplanten Publikation außer Frage steht. Weniger offensichtlich ist dies für die Enthauptung der hl. Barbara. Doch sowohl im vorliegenden Konvolut als auch in Gotha und in dem heute in Privatbesitz verwahrten Satz der Holzschnitte finden sich jeweils frühe Abdrucke des undatierten Blattes, das in Stil und Format engstens mit der 1509 entstandenen Passionsfolge verwandt ist eine zeitliche Gruppierung, die der hier beschriebene Buchkontext bestätigt.

Unter Einbeziehung der ebenfalls zeitgenössischen Buchausgabe der Passion läßt sich als Ergebnis zusammenfassen, daß den beiden bekannten Wittenberger Drucken Symphorian Reinharts mit der Passion und den Martyrien noch zwei weitere hinzugezählt werden können. Zumindest die Passion wurde dabei komplett fertiggestellt, während wohl davon auszugehen ist, daß die Martyrien nie über das Stadium der Druckfahnen hinausgelangten. Angesichts der Überlieferungssituation von nur drei Druckfahnensätzen der Martyrien und zwei nachweisbaren Exemplaren (Probedrucken?) der Passion darf jedoch bezweifelt werden, ob es selbst bei letzterer überhaupt je zu einer nennenswerten Buchauflage gekommen war, zumal auch Einzelblätter in dieser Form nur ganz vereinzelt in den Kabinetten anzutreffen sind (Blätter mit den Martyrien der hll. Philippus und Jakobus d.J. in Basel und Weimar, die Martyrien der hll. Mathias und Erasmus in Basel sowie schließlich noch eine Enthauptung der hl. Barbara mit dem charakteristischen Wasserzeichen Hand mit Kreuzblume in New York). Die prächtigen und ausgezeichnet erhaltenen Abdrucke der Apostelmartyrien, die schon für Cranachs frühen Biographen Joseph Heller um die Mitte des 19. Jahrhunderts "mit Recht zu den besten Arbeiten von Cranach gezählt" werden, stellen in dem hier vorliegenden außergewöhnlichen Zusammenhang und in dieser Vollständigkeit Raritäten allerersten Ranges dar. Sie sind nicht nur ein aufschlußreiches Dokument für die Frage nach der Funktion und Verwendungsform von Cranachs Graphik, sondern werfen auch neues Licht auf seine Beschäftigung mit dem Buchdruck während seiner ersten Jahre als Wittenberger Hofkünstler. Detail

Wichtigster Vorläufer für Cranachs Bilderserie der Apostelmartyrien waren die kleinen Holzschnitte, die in Hartmann Schedels 1493 bei Anton Koberger in Nürnberg gedruckter Weltchronik die Lebensbeschreibungen der Apostel begleiten. Bücher über das Leben und Leiden der Heiligen erfreuten sich im späten Mittelalter großer Popularität. Das älteste gedruckte und zugleich wohl auch berühmteste in deutscher Sprache war die zweibändige Sammlung, die Günther Zainer in Augsburg in den Jahren 1471-1472 unter dem Titel Der Heiligen Leben und Leiden, anders genannt das Passional herausbrachte und die rasch in anderen ober- und niederdeutschen ebenso wie mehreren niederländischen Städten nachgedruckt wurde, so daß bis 1521 etwa 50 Auflagen gezählt werden können. Die gemeinsame Quelle all dieser Zusammenstellungen ist die am Ende des 14. Jahrhunderts entstandene Legenda aurea, die "goldene Legende" des Genueser Erzbischofs Jakobus de Voragine, deren Handschriften zu den am meisten verbreiteten Büchern des ganzen Mittelalters zählten und die dann in der Frühzeit des gedruckten Buches ab 1460 ebenfalls nicht weniger als 70 Auflagen erfuhr. Sie ist ihrerseits eine Kompilation aus älteren Texten, aus der Bibel und den Apokryphen, aus Legenden, Sagen, Wunderberichten und den Schriften einer vielzahl berühmter oder auch obskurer Autoren seit der Spätantike. Neben der überlieferten Bildtradition waren es Textsammlungen dieser Art, auf welche die Künstler beim Entwurf von Szenen aus dem Leben der Heiligen zurückgreifen konnten - und wir werden an einigen der Martyriumsdarstellungen sehen, wie genau und zugleich einfallsreich Cranach immer wieder von solchen Quellen Gebrauch machte.

Die Zitate aus der Legenda aurea sind im folgenden kursiv gesetzt; die Reihenfolge von Cranachs Holzschnitten entspricht jener des einzig bekannten gebundenen Exemplars.

Armin Kunz